Den rote Faden zwischen den Ausstellungen des Jahres 2014 bildet das Thema Illusion. Im engeren Wortsinn ist eine Illusion eine falsche Wahrnehmung der Realität. In einem weiteren Wortsinn werden auch falsche Interpretationen und Urteile als Illusion bezeichnet.(1) Auch in der Kunst kann man eine formale und eine inhaltliche Bedeutung des Begriffes unterscheiden. Auf der formalen Ebene beschäftigen sich Kunstwerke mit der – meist visuellen – Täuschung unserer Sinnesorgane, Inhaltlich umfasst das Thema das weite Spektrum enttäuschter und unerfüllbarer Vorstellungen, z.B. Utopien.
Im Grunde genommen geht es darum, dass die Wirklichkeit sehr komplex ist und die Reaktionen und Verhältnisse zwischen den Dingen nicht immer eindeutig sind. Die auf die Wahrnehmung folgende Interpretation wird durch Vieldeutigkeiten teilweise oder vollständig verhindert. Die Entstehung dieser Mehrdeutigkeit kann auf natürlichen Phänomenen basieren (z. B. Fata Morgana), aber auch durch Manipulation künstlich erzeugt werden.
Der Begriff Illusion besitzt ein weites Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten – er kann aus evolutionärer, neurobiologischer, kultureller, aber auch aus geschichtlicher und gesellschaftlicher Perspektive gesehen werden, und von Anbeginn an war er ein Mittel und dadurch auch ein Thema in der Bildenden Kunst. All das ergibt die Möglichkeit, dieses Phänomen unter einer Vielzahl von Aspekten vor- und eine vielfältige und anregende Programmreihe zusammenzustellen.
Die Geschichte der Malerei bis zum 20. Jahrhundert ist eine Geschichte der Schaffung von Illusionen. Schon der Umstand, dass die dreidimensionale Wirklichkeit in einem zweidimensionalen Bild wiedergegeben werden kann, ist eine Illusion. Seit der Frühzeit sind Quellen bekannt, die zeigen, wie Künstler versucht haben, Illusionen zu erzeugen, indem sie die sie umgebende Welt so wirklichkeitsgetreu wie möglich abbilden. Die bekannteste Geschichte ist die von Plinius über den Wettbewerb zwischen Zeuxis und Parrhasios (2). Nachdem die Möglichkeiten der malerischen Illusion in der Renaissance ihren Höhepunkt erreichten (Linien- und Luftperspektive, Verkürzung, Schattenwurf, Modellierung, Darstellung von Materialoberflächen und Bewegung ), standen in der Epoche des Barocks alle Möglichkeiten für eine Ausweitung des Illusionismus zur Verfügung.
In den darauf folgenden Epochen stand die Abbildung der Natur, der Landschaft und der Atmosphäre im Mittelpunkt des künstlerischen Interesses, eine Tendenz, die mit dem Impressionismus ihren Abschluss fand. Denn mit der Erfindung der Fotografie gelangte die Sehnsucht nach der Abbildung der Wirklichkeit an einen Wendepunkt – von diesem Zeitpunkt an wandte sich die Malerei anderen Wegen zu, aber die Erzeugung von Illusion blieb immer ein Mittel der Kunst (z.B. Op Art).
Die Illusion ist auch ein Werkzeug der Bildhauerei und der Architektur, z.B. in der Ausarbeitung von Licht-Schatten-Wirkungen, der Verwendung von Spiegeln zur Erweiterung des Raums, in der die Imitation von Stein, Marmor und anderen Materialien, in den die Techniken des Grisaille (3) und Trompe‘oeil (4). Die vollkommenste Form der Illusion findet sich wahrscheinlich im Theater und im Zirkus.
Die Illusion ist nicht nur ein formales, sondern auch ein inhaltliches Mittel, dessen Funktion sich in den verschiedenen Epochen ändert. In einigen Epochen wird sie verwendet, um die uns umgebende Wirklichkeit auf täuschend echte Art und Weise darzustellen. Im Illusionismus des Barock wird dagegen eher die spirituelle Verbindung zwischen Erde und Himmel gesucht. Durch ein durch Freskomalerei „geöffnetes” Dach entsteht eine direkter visueller Kontakt mit dem Himmelreich. Beeindruckende Beispiele dafür sind das Freisinger Asamtheater und der Dom.
Es gibt auch gesellschaftliche Illusionen (Utopien), zu deren Verwirklichung versucht wird, die Kunst zu benutzen. Die Illusion von der Weltverbesserung kann auch Teil von Kriegen und Revolutionen sein. Die Funktion der Kunst ist dabei unterschiedlich: Oft wird sie als Teil der Propagandamaschiene eingesetzt, manchmal aber auch zur Offenlegung von Lügen und Manipulationen. Gleichzeitig ist die Erzeugung von Illusionen aber immer auch ein Spiel und ein Vergnügen.
Welche Rolle kann die Illusion in der zeitgenössischen Kunst spielen? Mit dem Aufkommen der Neuen Technologien (Photoshop, digitaler Videoschnitt, Animationen, Hologramm) erweitern sich die Möglichkeiten. Mit verschiedenen Kunstsparten und Präsentationformen versuchen wir, auf diese Frage Antworten zu finden. Dabei sollen sich unsere Antworten nicht mit visueller Anschaulichkeit und dem spielerischen Aspekt von Illusionen begnügen, sondern auch Aufschluss darüber geben, in welchem Verhältnis die Schaffung von Illusionen zu unserer komplexen Wirklichkeit steht.
Eike Berg
Fußnoten:
1) Wikipedia.org, 6.7.2013
2 )Trompe-l‘œil Stillleben gab es schon in der griechischen Antike. Am bekanntesten ist die Anekdote vom Wettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasios. Demnach täuschte Zeuxis Vögel mit gemalten Weintrauben, aber Parrhasios Zeuxis mit einem gemalten Vorhang.
3) Als Grisaille (von franz. gris = grau) bezeichnet man eine Malerei, die ausschließlich in Grau, Weiß und Schwarz ausgeführt ist. Bei anderen hell oder dunkel abgetönten Farben spricht man von Monochromer Malerei (franz. Camaieu). Sie beruht auf reiner Schattenwirkung. Eine Form der Grisaille findet auch in der Glasmalerei Verwendung.
4) Ein Trompe-l’œil (frz. „täusche das Auge“, von tromper „täuschen“ und l’œil „das Auge“) ist eine illusionistische Malerei, die mittels perspektivischer Darstellung eine dreidimensionale Räumlichkeit vortäuscht. Besonders in Wand- und Deckenmalereien erweitern solche Bilder die Optik der Architektur und erzeugen einen Ausblick auf Phantasielandschaften.
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